Vor einem Jahr saßen wir vor dem Fernseher und sahen, wie die russische Armee in die Ukraine eingedrungen ist. Rund vier Wochen zuvor hatte die israelische Regierung ihre Staatsbürger bereits aufgefordert, die Ukraine zu verlassen, was viele auch taten. Zu dieser Zeit saßen wir zusammen, die Jewish Agency und der Keren Hayesod, um über die Gefahren zu sprechen, die den jüdischen Menschen und Gemeinden in der Ukraine drohen. Und um zu planen, wie wir, wenn nötig, schnellstmöglich bei der Flucht helfen und für eine reibungslose Aliya nach Israel sorgen können.
Als der Krieg ausbrach, überwältigte mich das Gefühl, dass ich nicht ohnmächtig und tatenlos vor dem Fernseher sitzen kann. Ich nahm kurzfristig eine Woche Urlaub und fuhr an die ukrainisch-polnische Grenze nach Medyka, wo die Jewish Agency ihre Auffangbasis für Flüchtlinge hatte. Ich habe gesehen, wie Frauen und Kinder, die alles hinter sich gelassen und 24 Stunden in der Kälte an der Grenze ausgeharrt hatten, sich freuten, in Sicherheit zu kommen. Und mit welch großer Dankbarkeit sie eine warme Suppe für sich und ihre Kinder entgegengenommen und genossen haben. Da wusste ich sofort, dass ich das Richtige tat.
Am Abend rief mich Maxim an. Maxim kannte ich noch von meinem ersten Besuch in der Ukraine 2014. Er war dort, zusammen mit seiner Frau Natalie, Delegierter der Jewish Agency. Maxim fragte, ob ich am nächsten Tag drei Frauen, die in der Nacht über die Grenze kommen sollten, abholen und nach Warschau bringen könnte – was ich selbstverständlich zusagte: Ich traf am nächsten Morgen Larissa und ihre zwei Töchter. Jede von ihnen hatte bloß einen Rucksack dabei, in dem sich das Nötigste befand. Sie kamen aus Kiew, waren 30 Stunden auf dem Weg nach Polen unterwegs gewesen. Das heißt 30 Stunden ohne Schlaf, ohne Möglichkeit, eine Toilette zu benutzen, aber letztendlich hatten sie es geschafft, sie waren in Sicherheit! Wir fuhren dann gemeinsam nach Warschau, sieben Stunden, in denen sie mir von ihrem Leben in Kiew erzählten. Kiew, wo Vater und Bruder zurückbleiben mussten, wo sie ein aktives Leben in der jüdischen Gemeinde geführt hatten.
In Warschau warteten die Kollegen der Jewish Agency auf uns und nach einem kurzen Aufenthalt in der polnischen Hauptstadt konnten die drei weiter nach Israel reisen – als OLOT CHADASHOT.
Heute lebt Larissa mit der jüngeren Tochter in Haifa und die ältere, Shifra, studiert an der Tel Aviver Universität.
Auch ein Jahr danach berührt mich die Geschichte von Larissa und ihren Töchtern immer noch sehr, denn ich weiß, es ist eine Geschichte von vielen und ich, Udi Lehavi, Mitarbeiter von Keren Hayesod, durfte dieser Familie helfen.
Unsere Arbeit ist gerade in solchen Zeiten sehr wichtig und ich möchte Sie ermutigen – auch ein Jahr danach – das Richtige zu tun. Erheben Sie Ihre Stimme, wo sie können, und unterstützen Sie unsere Arbeit, so gut Sie können.
Udi Lehavi
Delegierter des Keren Hayesod München